Schauspiel
Ich kam zur Schauspielerei wie die Jungfrau zum Kind. Oder liegts in den Genen?
Meine Mutter Ajka Kerhin war zwischen 1934 und 1941 am Kroatischen Nationaltheater HNK ein Kinderstar und spielte viele Hauptrollen u.a. in Stücken von Kästner – z.B. Pony Hütchen in Emil und die Detektive – oder von Blanka Chudoba, Franz Molnar, den Grimms. Und ihr Grossvater Václav Anton war Ende des 19. Jh in Zagreb ein gefeierter Opernstar (Sänger und Regisseur) und – gemeinsam mit einem andern meiner Urgrossväter, Marijan Derenčin (Schriftsteller, Advokat, Verleger und Politiker) – der Initiant des oben erwähnten Nationaltheaters Zagreb.
Wie auch immer. Schauspielerei ist für mich zu einer Leidenschaft geworden, weit über ein Hobby hinaus. Für Aufführungen der Freilichtspiele Moosegg bspw. finden jeweils von Februar bis Ende Juni gegen 70 Proben statt, danach folgen knapp 30 Aufführungen – mit dem Texte lernen sowie mit organisatorischen Mitarbeiten (auch Bühnenaufbau gehört dazu) ergeben sich pro Rolle Einsätze an gut und gerne 110 Tagen pro Jahr. Diese leiste ich derart gerne und mit grossem Engagement, dass ich Ende 2017 mein geliebtes Schiff verkaufte, weil ich durch den Sommer eh nicht mehr dazu komme, Segel zu setzen. Wer wie ich vom Segelvirus befallen ist weiss, welches Opfer ich da brachte. Was mich, auch – oder obwohl – als leidenschaftlicher Literaturkonsument, am Theater fasziniert sind zwei Aspekte. Zum Einen das Aufgehen in einem Ensemble, einer immer wieder neuen und «zufälligen» Konstellation und «Familie», die nicht nur mit- sondern füreinander arbeitet. Zum Anderen der Effekt des Theaters: Die Bühne bringt gesellschaftliche Zusammenhänge, das «Zwischenmenschliche» in eine bewegende, verbale und nonverbale Form. Das Buch, die Literatur wirken auf den Leser langsam, die Bühne packt den Zuschauer direkt. Das räumlich Greifbare des Theaters macht für mich – auch zum Film – den Unterschied und begeistert mich.
Wie es begann: 2016 erhielt ich aus purem Zufall vom bernischen Ausnahmetalent Simon Burkhalter die Möglichkeit für eine Nebenrolle in der Ralph Benatzky-Operette «Im Weissen Rössl», produziert und inszeniert von Simon und dem Musiker und Dirigent Michael Kreis. Ich spielte dort – damals mit 60 – einen jungen Bräutigam, die bezaubernde Braut (gespielt von Eliane Baumann) war 20 … das Stück wurde trotzdem zu einem grossen Erfolg .
Schon ein Jahr später durfte ich in der Uraufführung der turbulenten musikalischen Komödie «Räuberhochzeit» die Rolle des Karl Treumann, des Intendanten und Verlegers von Franz von Suppé, welcher sich im emmentalischen „Eggenmoos Bad“ verlustiert, spielen. Es war der Start von Simon Burkhalter als Produzent und Regisseur der Freilichtspiele Moosegg, und das Stück erzielte in fast 30 Aufführungen einen enormen Erfolg.
Wieder ein Jahr später, 2018, erhielt ich erstmals eine tragendere Rolle und spielte in der Tragödie «Schwarmgeist» von Simon Gfeller den Dorfarzt Kurt Leuenberger. Die schwere des Stücks (es geht um fanatisierte Religiosität – im bernischen «bible belt» ein häufigeres Phänomen – überraschte das Publikum der Freilichtspiele Moosegg sehr. Die Kritiken waren ausgezeichnet, geradezu euphorisch, die Theatergäste begeistert, aber die Zuschauerzahlen «durchzogen».
2019 folgte die musikalische Komödie «Chachelihannes», von Simon Burkhalter nach einer Kalendergeschichte von Jeremias Gotthelf. Ich spielte die Rolle des Dorflehrers Peter Jäggi. Das Besondere an dieser von allen Medien (Print, Radios, TV) hoch gelobten Produktion: Sämtliche 27 regulären sowie 2 Zusatzvorstellungen waren restlos ausverkauft, und an jeder Vorstellung wurden an der Abendkasse noch einige Tickets für eine Zusatzbestuhlung verkauft. Es ergab sich einen Verkaufsquote von geschätzten 103 Prozent, für die traditionsreichen Freilichtspiele Moosegg und wohl auch die bernische Theaterlandschaft ein Rekord ohnegleichen.
Für 2020 geplant war, zum 100-Jahre-Jubiläum des Nationalzirkus Knie, das berühmte Volkstheaterstück («Seiltänzerstück») von Carl Zuckmayer, «Katharina Knie». Doch dann, mitten in den Proben, kam die grösste Zäsur in der Kulturarbeit seit dem 2. Weltkrieg: Die chinesische Seuche Covid-19 legte die Welt lahm. Kein Kino. Kein Theater. Keine Konzerte. Tote Bühnen und Tribünen. Fertig. Ende. Aus. — Doch Katharina Knie kam 2021 zur Aufführung. Ich spielte dabei in der Bearbeitung von Domenico Blass und Simon Burkhalter den Betreibungsbeamten Marti-Moser (im Original «Gerichtsvollzieher Membel»), also grundsätzlich so ziemlich genau das Letzte, was ich im Privatleben sein möchte, undenkbar. Doch der etwas naive Betreibungsweibel hat einen weichen Kern und ist dem Schalk der Zirkustruppe gnadenlos ausgeliefert … Und genau das ist für mich die Faszination des Schauspiels: Das Undenkbare tun.
Was ist es, das mich am Schauspiel so fasziniert?
Ist es der oft zitierte Kontakt mit dem Publikum? Vielleicht, bei mir aber sicher nicht zentral. Zuerst war es ein Abenteuer, eine neue Herausforderung. Schon nach zwei Proben wich diese Einstellung der Bewunderung für ein damals erst 20-jähriges Talent, Simon Burkhalter: Wie er eine sehr aufwändige Operettenproduktion mit insgesamt wohl 100 Mitarbeitenden stemmte, als Produzent, organisatorisch, als Regisseur, als Sänger, Tänzer und Schauspieler … ich schaute zu, beobachtete, lernte. Sein Umgang mit Bühnenstars und Laien, seine Präsenz und Empathie – für mich 60-jährigen „Gwärbler“ eine neue grosse Erfahrung. Mit der Räuberhochzeit kam ein weiteres Element dazu: Das Aufgehen in einem Ensemble unterschiedlichster Mitwirkender aller Generationen, das gemeinsam an einem Strick ziehen, ohne geringste Allüren, ziel- und vergnügungsorientiert. In den Probe- und Spielstunden vergisst Du alles, geschäftliche oder private Sorgen, Du treibst mit in einem Klima des Wohlwollens und gegenseitiger Unterstützung. Dieses Feeling ist geblieben. Plus das lernen von den andern, Laien und Profis. Zum Beispiel wie es geht, sich selbst völlig hinter sich zu lassen und exakt das zu tun, was die Regie sagt und was die Rolle, im Zusammenspiel mit den andern Akteuren, von dir verlangt.